Nachbarschaftsrechte werden vom Verwaltungsgerichtshof gestärkt
  • Nachbarn bekommen in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung Mitwirkungsrechte auf gleicher Augenhöhe mit Projektbetreibern.
  • In UVP-Feststellungsverfahren haben Nachbarn nun Parteistellung, wodurch das Wirtschaftsleben in Österreich erheblich verändert wird.
  • Die Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden wird aufgehoben, Nachbarn können diese nun gerichtlich anfechten.

Verwaltungsgerichtshof repariert Versäumnisse des Gesetzgebers

Der Wiener Rechtsanwalt Univ.-Doz. Dr. Wolfgang List hatte für eine Mandantin den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg angerufen, weil ihr bei einem Großprojekt auf dem Nachbargrundstück Parteistellung verweigert worden war. Mit dem Urteil C-570/13 (Rs Gruber) vom 16.04.2015 stellte der EuGH fest, dass mangelnde Rechtsmittellegitimation von Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren unionrechtswidrig ist.

Trotz mehrerer Urgenzen beim zuständigen Umweltministerium hat der österreichische Gesetzgeber das Bundesgesetz über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (UVP-G 2000) noch immer nicht an das geltende Unionsrecht angepasst.

Einen Teil dieses Missstandes hat der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis „Gruber“ Zl. 2015/04/0002-18 vom 22. Juni 2015 (Zustellung 14.7.2015) nun repariert: Er folgt mit seinem Erkenntnis dieser EuGH-Entscheidung. Der VwGH hat klargestellt, dass eine Nachbarin zur sogenannten „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne der UVP-Richtlinie gehört und daher in die Lage versetzt werden muss, Entscheidungen anzufechten, mit denen die Durchführung der UVP verneint wird.

Stärkung der Nachbarrechte, weitreichende Änderungen des Wirtschaftslebens

Weil der österreichische Gesetzgeber den § 3 Abs 7 des UVP-G 2000 noch immer nicht an das Unionsrecht angepasst und NachbarInnen Parteistellung eingeräumt hat, müssen betroffene NachbarInnen ihre Einwendungen gegen die Nichtdurchführung eines UVP-Verfahrens in den jeweiligen Materienverfahren (zB Gewerbeordnung, Bauordnung, Forstrecht, Wasserrecht, Elektrizitätswirtschaftsgesetz usw.) geltend machen.

Das kann dazu führen, dass zB BürgermeisterInnen als Baubehörde erster Instanz die UVP-Pflicht zu prüfen und „nachvollziehbar (…) darzulegen“ haben. Klar ist, das wird die meisten BürgermeisterInnen überfordern, da sie üblicherweise nicht über die Ressourcen für eine solche Prüfung verfügen.

Werden die Behördenapparate vollständig lahmgelegt?

Nach dem UVP-G 2000 ist die Landesregierung zuständige Behörde in UVP-Feststellungsverfahren, weil diese Verfahren äußerst umfangreiche Genehmigungsverfahren sind und Landesregierungen über ausreichende Ressourcen zur Beurteilung der UVP-Pflicht verfügen.

Das neue VwGH-Erkenntnis hat allerdings zur Folge, dass NachbarInnen ihre Einwendungen vor jeder einzelnen Behörde vorbringen können und diese die UVP-Pflicht prüfen muss. Nunmehr kann daher jeder einzelne Bürgermeister und jede einzelne Bezirkshauptmannschaft mit sehr komplexen Fragen der UVP-Pflicht konfrontiert werden und muss die UVP-Pflicht aus eigenem beurteilen können – obwohl diese Behörden über keine Ressourcen dafür verfügen.

Der Gesetzgeber ist also gefordert, die Lahmlegung des Behördenapparats in Österreich zu verhinden und endlich tätig zu werden, indem er Nachbarn Parteistellung in UVP-Feststellungsverfahren gemäß § 3 Abs 7 UVP-G 2000 einräumt.

Es wird spannend.

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