Ist Ihnen aufgefallen, dass derzeit viele Medien über umweltfreundliche Mobilität, Elektroautos, Brennstoffzellenautos, Biotreibstoffe, Klimaschutz usw. berichten? Und über Studien, die dieses oder jenes belegen würden?
Das hat wohl mit der in Bonn tagenden UN-Klimakonferenz COP23, der Regierungsbildung in Deutschland und dem Geschäftsmodell einer Schlüsselbranche unserer Wirtschaft zu tun - der Automobilwirtschaft.
Das können Sie in diesem Beitrag lesen: |
Öffentlichkeitsarbeit von Lobbygruppen
Diese starke Medienpräsenz von Umwelt-, Gesundheits- und Wirtschaftsthemen hat mit Interessenlagen zu tun: Verschiedene wirtschaftliche Interessenverbände versuchen, die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. WissenschaftlerInnen und manche PolitikerInnen wollen Lebensgrundlagen für Menschen schützen, sie weisen auf die Folgen unseres Mobilitätsverhaltens für unsere Gesundheit und Umwelt hin. Die in Bonn tagende UN-Klimakonferenz COP23 beschäftigt sich mit genau diesem Themenkreis.
Bei der Regierungsbildung in Deutschland schließlich geht es um die politischen Gestaltungsmöglichkeiten für die verschiedenen Lobbyisten. Wirtschaftsverbände und Großkonzerne wollen die profitablen Geschäfte mit dem bisherigen Mobilitätsmodell möglichst lange weiter betreiben: Damit könnten sie ihre bisherigen Investitionen weiter nützen und brauchten noch nicht neu zu investieren in Forschung, Industrieanlagen und neue Geschäftsprozesse.
Beliebte Puzzlesteine in diesem Spiel sind Studien, die angeblich dieses und jenes wissenschaftlich belegen können. Selbst für gut Informierte ist es nicht leicht, sich in diesem Informationsdschungel zurechtzufinden. Oft hilft es, die Interessenlagen der Autoren solcher Studien und deren Auftraggeber zu kennen.
dena stellt Zwischenbericht zur "Leitstudie Integrierte Energiewende" vor
- Der Verband der Automobilindustrie VDA hat eine Studie in Auftrag gegeben, deren Zwischenfazit im Oktober 2017 vorgestellt wurde.
- Darin sieht die Deutsche Energieagentur dena synthetisch erzeugte Kraftstoffe auch zukünftig als wichtigen Energieträger für die Mobilität.
- E-Fuels sind künstlich hergestellte flüssige oder gasförmige Treibstoffe, derzeit noch sehr teuer und im Versuchsstadium oder im industriellen Einsatz.
- Stammt die Elektrizität für die Erzeugung der E-Fuels aus Wasser und Kohlendioxid CO2 aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind, seien E-Fuels klimaneutral.
Kommentar
Wissenschaftler und Techniker kritisieren die geringe Energieeffizienz von E-Fuels: Pro km benötigen mit E-Fuels betriebene Sprit-Autos rund doppelt so viel Strom wie Brennstoffzellenfahrzeuge, die direkt mit Wasserstoff betrieben werden. Im Vergleich mit batteriebetriebenen E-Autos benötigen sie sogar rund fünfmal so viel Energie.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Aussage von Uwe Albrecht von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik:
"Laut Studie STUDY: E-Fuels – The potential of electricity based fuels for low emission transport in the EU bestehe derzeit in Europa ein ausreichendes technisches Potenzial zur erneuerbaren Stromproduktion, um den langfristigen Bedarf an Transportenergie und E-Fuels zu decken. Allerdings sei hierzu ein starker Ausbau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien erforderlich."
„Der voraussichtliche Bedarf an erneuerbarem Strom für den gesamten EU-Verkehrssektor im Jahr 2050 würde etwa dem Sieben- bis Zehnfachen der aktuellen jährlichen erneuerbaren Stromproduktion in der EU entsprechen. Gut 80 Prozent dieses Bedarfs gingen dann auf die Herstellung von E-Fuels zurück.“
Wie wird Strom in flüssigen oder gasförmigen Treibstoff umgewandelt? Hier finden Sie weitere Informationen zu Power-to-Gas PTG und zu Power-to-Liquid PTL.
Zur dena-Studie
Möglicherweise ist es kein Zufall, dass diese von der Interessenvertretung der Automobilwirtschaft beauftragte Studie gerade vor der derzeit tagenden UN-Klimakonferenz 2017 in Bonn COP23 und den Regierungsverhandlungen in Deutschland veröffentlicht wurde: Besonders die deutsche Automobilwirtschaft ist in der Kritik, umweltfreundliche Autos zu verhindern und lieber auch in Zukunft teure, spritfressende und großvolumige Statussymbole verkaufen zu wollen.
Die Deutsche Energieagentur dena plädiert in ihrer Studie Zwischenfazit: dena-Leitstudie Integrierte Energiewende vom Oktober 2017 dafür, die Energiewende technologieoffen zu gestalten und bestehende Infrastrukturen bestmöglich zu nutzen:
"Die bisherigen Ergebnisse der dena-Leitstudie Integrierte Energiewende zeigen aber sehr wohl, dass Szenarios, die einen breiteren Technologiemix annehmen, bis 2050 deutlich geringere Kosten verursachen könnten als Szenarios, die einseitig auf einen hohen Grad an Elektrifizierung ausgelegt sind."
Besonders die Wirtschaftlichkeit von Investitionen in Technologien erscheint der dena wichtig:
"Eine wichtige Grundlage für das zukünftige Energiesystem bilden neben der Stromversorgung das Gasnetz sowie die Infrastrukturen zur Bereitstellung flüssiger Energieträger, für die in den Szenarios sukzessive der Anteil erneuerbarer Gase und Kraftstoffe erhöht wird. Insbesondere Anwendungsbereiche, die durch Strom nicht oder nur ineffizient versorgt werden können (z. B. Bereitstellung von gesicherter Leistung, Langzeitspeicher, Schiffs-, Flug- und Schwerlastverkehr, industrielle Prozesse), können so klimafreundlich werden."
Bosch, ein wichtiger Zulieferer und Forschungspartner der Automobilindustrie, meint in seiner FAQ zu synthetischen Kraftstoffen: "Selbst wenn alle Autos eines Tages rein elektrisch fahren: Flugzeuge, Schiffe und selbst Lkw werden auch zukünftig überwiegend mit Sprit angetrieben. CO₂-neutrale Verbrennungsmotoren, die mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, sind deshalb ein vielversprechender weiterer Pfad – und zwar auch im Pkw."
Links
- Ticker: Keine Science-Fiction: Synthetische Kraftstoffe vor Durchbruch. Die Presse, 8.11.2017
- Deutsche Energie-Agentur GmbH dena
- dena Leitstudie Integrierte Energiewende, Zwischenfazit Stand Oktober 2017 [PDF]
- Videos zur Integrierten Energiewende. dena-Geschäftsführer Andreas Kuhlmann, Prof. Dr. Ulrich Wagner, Senta Schmatzberger und Ralph Schaper im Gespräch zur Integrierten Energiewende.
- Ludwig-Bölkow-Systemtechnik
- Studie: E-Fuels – The potential of electricity based fuels for low emission transport in the EU, dena, Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, November 2017 [PDF].
- Verband der Automobilindustrie e. V. VDA
- Bosch: Synthetische Kraftstoffe, FAQ
- E-Fuel als Kraftstoff der Zukunft: Wie weit sind synthetische Kraftstoffe? Auto Motor und Sport, 28.7.2017
Bildnachweis: © dena,div, #wohnblogAt
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